Empathie bei Kindern
Empathieentwicklung in den verschiedenen Altersstufen
Die Fähigkeit, empathisch zu sein, entsteht in Form eines allmählichen Prozesses im Verlauf von Kindheit und Jugend. Die einzelnen Lebensphasen junger Menschen sind entscheidend geprägt von vielfältigen, unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben. Dabei spielen sowohl biologische als auch soziale und kulturelle Faktoren eine Rolle. Je nach Verlauf kann die Entwicklung der Empathiefähigkeit sehr unterschiedlich sein.
Inwieweit einem Menschen im Verlauf seines Lebens empathisches Verhalten möglich ist, entscheidet sich wesentlich bereits in den allerersten Lebensjahren. In den weiteren Entwicklungsphasen und damit verbundenen Altersstufen findet eine tiefgehende Verfeinerung der Fähigkeit statt. Jedem Lebensabschnitt bis zum Erwachsenenalter kommt dabei eine eigene Bedeutung mit wichtigen Lernphasen zu.
Die frühe Kindheit (0-3 Jahre)
Die ersten drei Lebensjahre legen den Grundstein für die gesamte weitere Empathieentwicklung. Dies gilt sowohl in emotionaler als auch in sozialer Hinsicht. Bereits ein Säugling erkennt emotionale Reaktionen seines Gegenübers und reagiert darauf. Diese noch ganz ungerichteten sozialen Interaktionen verlaufen unbewusst und äußern sich vorwiegend in Form von Nachahmung. Wird ein Säugling liebevoll und lächelnd angesehen, ist die Reaktion darauf ebenfalls ein Lächeln. Diese erste Form der Empathie kann sich umso nachhaltiger fortsetzen, je einfühlsamer die Bezugsperson reagiert.
Das etwa zweijährige Kind lernt, ein Verständnis von sich selbst in Abgrenzung zum anderen zu entwickeln. Es nimmt die eigenen Emotionen bewusster wahr und erkennt den Unterschied zu den Emotionen des anderen. In dieser Lebensphase wird der Grundstein für die weitere Empathieentwicklung gelegt. Erste Anzeichen von Mitgefühl sind zu erkennen, etwa wenn das Kind auf das Weinen eines anderen Kindes mit einer tröstenden Geste reagiert. Hier sind die Interaktionen mit den Bezugspersonen von Bedeutung, denn sie helfen Kindern, ihr emotionales Erleben zu erkennen und einzuordnen.
Die Qualität der Bindung zwischen Kind und Bezugsperson ist in dieser Zeit sehr entscheidend, denn sie hilft dem Kind, sich in seiner Wahrnehmung zurechtzufinden. Für das Erlernen von Empathie sind Vorbilder ein Schlüssel. Eltern und andere nahe Menschen ermöglichen Kindern, sich durch Einfühlen und eigenes empathisches Handeln zu orientieren und mit der Zeit selbst vergleichbar zugewandt und einfühlend zu sein.
Das Vorschulalter (3-6 Jahre)
Während des Vorschulalters erweitert sich der Kreis an Menschen, denen das Kind begegnet, in der Regel wesentlich. Die Befähigung zur Empathie entwickelt sich in diesem Zeitraum entscheidend weiter, denn die Möglichkeiten, die Emotionen anderer zu verstehen, werden mehr. In dieser Zeit entsteht die sogenannte kognitive Empathie, die Fähigkeit, die Sichtweise des Gegenübers zu erkennen. Dies ist Voraussetzung, um im weiteren Verlauf Emotionen anderer nicht nur wahrzunehmen, sondern sie auch deuten zu können. Je umfassender dieses Verständnis ist, desto hilfreicher ist es für die kindliche Reaktion auf die Emotionen des Gegenübers.
Spielen nimmt in dieser Entwicklungsstufe eine zentrale Rolle für die Empathieentwicklung ein. Das gilt vor allem für Rollenspiele, denn hierbei lernen Kinder, sich in andere hineinzuversetzen und ihre Position einzunehmen. Im Kindergarten beispielsweise spielen Kinder im Vorschulalter meist intensiv "Familie". Sie ahmen die Handlungen und vor allem die dabei vermittelten Emotionen ihrer Familienmitglieder detailliert nach, und sie reagieren darauf. Durch das Nachspielen entstehen zahlreiche soziale Fähigkeiten, vor allem ein tieferes Verständnis für andere und ihre Eigenheiten.
Auch die Interaktionen mit unterschiedlichen Kindern haben eine wichtige Funktion. Kinder lernen, ihre Bedürfnisse zu äußern und mit Konflikten und verschiedenen Befindlichkeiten umzugehen. Sie setzen sich mit Kompromissen auseinander und reagieren auf die Emotionen der anderen Kinder. Dabei zeigen sie selbst zahlreiche Emotionen, die wiederum aufgegriffen werden. In dieser Entwicklungsphase unterstützen Erzieher und Eltern die Kinder dabei, ihre Gefühle zu artikulieren und auch zu zeigen. Dadurch entsteht die emotionale Intelligenz, die für Kinder wertvoll ist bei der weiteren Entwicklung ihrer Empathiefähigkeit.
Das Grundschulalter (6-12 Jahre)
Im Grundschulalter werden die bisherigen Entwicklungsschritte vertieft und auch differenziert. Das Verstehen nuancierter Zusammenhänge rückt in den Fokus. Emotionen werden nicht nur unmittelbar erlebt, sondern zunehmend interpretiert und in ihrem sozialen Kontext verstanden. Durch den Besuch der Schule schreitet die kognitive Entwicklung von Kindern rasch voran. Vor diesem Hintergrund können sie zunehmend mehr Perspektiven berücksichtigen und eigene Emotionen sowie die Emotionen anderer auf komplexerer Ebene verarbeiten und verstehen.
In diesem Zeitraum sind die Dynamiken in der sozialen Gruppe von großer Bedeutung. Kinder schließen tiefere Freundschaften und bilden erste kleine Netzwerke. Sie lernen, dass Emotionen und Befindlichkeiten nicht nur einzelne konkrete Menschen betreffen. Der persönliche Horizont wird weiter, ein Bewusstsein von Zugehörigkeit entsteht und dabei auch ein Verständnis von Normen und Regeln, die sich Gruppen und Gemeinschaften im Alltag setzen. Empathie wird nicht mehr nur auf ein Individuum bezogen, sondern das Blickfeld auf die Harmonie innerhalb von Gruppen zunehmend erweitert.
Kinder erwerben ein Verständnis für Ungerechtigkeiten und das damit verbundene Leid von Menschen. Sie trauen sich zu handeln, wenn jemand bevorzugt oder benachteiligt wird. Es ist besonderssinnvoll, ein solches prosoziales Verhalten zu fördern und Kinder zu ermutigen, sich für andere einzusetzen. Kinder lernen dadurch, ihre Befähigung zur Empathie zu nutzen, und verstehen, dass keine Gemeinschaft ohne empathisches Handeln funktioniert.
Die Adoleszenz (12-18 Jahre)
Bei Jugendlichen finden umfassende und dabei tiefgreifende Veränderungen statt, die sich vor allem auf die Emotionen, den eigenen Körper und die sozialen Interaktionen beziehen. Prägend für die Phase ist die Selbstreflexion, die einen wichtigen Baustein in der Empathieentwicklung darstellt. Jugendliche setzen sich intensiv mit sich selbst, aber auch mit anderen auseinander. Sie suchen nach ihrem Platz in der Welt und sind mit Sinnfragen befasst. Die Beschäftigung mit den eigenen Emotionen und jenen der für sie relevanten anderen nimmt einen großen Teil der Zeit in Anspruch.
Jugendliche lernen zunehmend, die Ursachen der verschiedenen Emotionen zu erkennen und nachzuvollziehen. Ihre Auseinandersetzung damit ist vielfach analytisch, mit dem Ergebnis, dass sie ihre eigenen Reaktionen besser an Situationen und Emotionen anpassen können. Jugendliche sind stark orientiert an Gleichaltrigen, sie bilden soziale Gruppen und sind auf der Suche nach Akzeptanz und Gemeinschaft. In diesem Kontext kann Empathie stark beeinflusst werden, in positiver Hinsicht vor allem dann, wenn die Jugendlichen Gelegenheit haben, sich immer wieder mit unterschiedlichen Sichtweisen auseinanderzusetzen.
Zu den zentralsten Themen von Jugendlichen gehört die Beschäftigung mit der Welt, der eigenen Gemeinschaft und der Umwelt. In dieser Phase ist es essenziell, sie in ihrem Engagement für andere zu bestärken. Wichtig für die Fähigkeit, im Erwachsenenalter verantwortungsbewusst und empathisch zu handeln, ist eine grundsätzliche Offenheit für Menschen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen. Jugendliche, die sich beispielsweise für andere Menschen oder auch benachteiligte Gruppen engagieren, profitieren davon wesentlich für ihr gesamtes Leben.